Wie einst in Oberbösa die Ernte und die Verarbeitung des Leins bis zum Spinnen erfolgte
(entnommen aus dem Begleitheft zur 1200jahrfeier des Ortes Oberbösa)

Neben den braungolden wogenden Ähren und den leuchtend gelben Waiddolden durfte in vergangenen Jahrhunderten das sanfte Blau der Leinblüten in der sommerlichen Feldflur Oberbösa nicht fehlen. Der Lein liefert in seinen Stengeln Flachs, in seinen Samen Leinöl. Seit eh und je erfolgte die Ernte des Leins in Handarbeit durch Herausreißen, als Raufen bezeichnet. Dabei bündelte man ihn und stellte diese kleinen Bündel zu Puppen oder Kapellen zusammen, Wirrstroh durfte jedoch nicht entstehen. Beim Riffeln löste man dann die Samenkapseln und Blätter vom Stroh. Nach dem Raufen und Riffeln wurde die Faser in Oberbösa meistens durch die sogenannte Wasserröste gewonnen, indem die bald nach dem Abblühen des Feldes gereiften Pflanzen unter fließendem Wasser in der "Kohllänger" ausgebreitet wurden. Hier überließ man sie einige Zeit der Tätigkeit von Bakterien und Schimmelpilzen, die die eiweißhaltigen Substanzen sowie die dünnen Zellmembranen zerstören und verzehren und nur die langgestreckten, dickwandigen Faserzellen übriglassen, die zu "Flachs" und weiter zu Leinen verarbeitet werden können. Nach der Röste wurde der Lein getrocknet und dann gebrochen. Dadurch erreichte man, daß sich das mürbe gewordene Holz vom Bast löste und sich auch die Fasern voneinander trennten. Weitere Arbeitsgänge bildeten das Schwingen, damit wurden die holzigen Teile entfernt, und das Hecheln, durch das die noch bändchenartig zusammenhängenden Fasern in Einzelfasern und die kurzen von den langen Fasern getrennt wurden. Der entstandene Hechel-, Kern- oder Langflachs bildete dann das Ausgangsprodukt für die Flachsspinnerei in den Spinnstuben Oberbösas. Noch lebt die Erinnerung an diese Verarbeitung bei uns fort in der großen Rolle, die Spinnrad, Kunkel und Spindel im Volksmärchen spielen. Leinen Gewänder, Kittel und Beinkleider bildeten im Mittelalter in Oberbösa wie auch anderswo neben dem groben, eigenhändig gesponnenen und gewebten Wollenzeug und Pelzen den weitverbreiteten, fast unverwüstlichen Bekleidungsstoff.

 

Richard Lang